Auktion: 550 / Evening Sale am 07.06.2024 in München Lot 124000041


124000041
Erich Heckel
Zwei Menschen im Freien, 1909/10.
Öl auf Leinwand
Schätzpreis: € 400.000 - 600.000
Informationen zu Aufgeld, Steuern und Folgerechtsvergütung sind ab vier Wochen vor Auktion verfügbar.
Zwei Menschen im Freien. 1909/10.
Öl auf Leinwand.
Rechts unten monogrammiert und datiert. Verso auf der Leinwand signiert und datiert. Verso auf dem Keilrahmen signiert, betitelt und datiert "Zwei Menschen im Freien 1909", handschriftlich nummeriert "16" und "221 / E" sowie mit Ausstellungsetiketten. 81 x 70 cm (31,8 x 27,5 in).
[KT].

• Aus der besten "Brücke"-Zeit, als in Moritzburg an den Seen im Freien die bedeutendsten Akte entstehen.
• Höhepunkt des gemeinschaftlichen Arbeitens und Lebens der Künstlergruppe, entstanden während der Aufenthalte an den Moritzburger Teichen.
• Die ungezwungene Aktdarstellung in unberührter Natur ist in ihrer Unmittelbarkeit eines der Leitthemen der "Brücke"-Kunst.
• In dieser Auktion kommt auch das Gemälde "Im Wald“ von Ernst Ludwig Kirchner, das gleichzeitig mit Erich Heckels "Zwei Menschen im Freien“ entsteht, zum Aufruf
.

PROVENIENZ: Aus dem Nachlass des Künstlers, Hemmenhofen am Bodensee.
Galerie Roman Norbert Ketterer, Campione d'Italia (1965).
Galleria Henze, Campione d'Italia (1983).
Privatsammlung Italien.

AUSSTELLUNG: Erich Heckel, Werke der Brückezeit 1907-1917, Württembergischer Kunstverein, Stuttgart, 15.9.-27.10.1957, Nr. 16.
Erich Heckel, Galerie Wolfgang Ketterer, München, Hannover, Campione d'Italia, 26.2.-17.4.1966, Nr. 63.
Moderne Kunst VI, Galerie Roman Norbert Ketterer, Campione d'Italia, 1969, Nr. 22.
Künstler der Brücke an den Moritzburger Seen 1909-1911, Brücke-Museum Berlin, 1.10.-15.12.1970, Nr. 34.
Erich Heckel. Galerie Roman Norbert Ketterer, Campione d'Italia, 1970, Nr. 2.
Erich Heckel zum 90. Geburtstag, Galerie Roman Norbert Ketterer, Campione d'Italia, 1973, Nr. 2.
Erich Heckel, Galleria Henze, Campione d'Italia, 1983, Nr. 2.
Erich Heckel, Museum Folkwang, Essen, 18.9.-20.11.1983, Nr. 16.
Futurismo & Futurismi, 13. Biennale di Venezia, Palazzo Grassi, Venedig, 4.5.-12.10.1986, Nr. 769 (m. d. Etikett).
Figures du moderne, L'expressionisme en Allemagne 1905-1914, Musée d'art moderne de la ville de Paris, Paris, 18.11.-14.3.1992, Nr. 3 (m. d. Etikett).
Künstler der Brücke in Moritzburg, Museum Schloss Moritzburg, Moritzburg bei Dresden, 1.7.-1.10.1995, Nr. 37.
The Romantic Spirit in German Art 1790-1990, Scottish National Gallery of Modern Art, Edinburgh, 28.7.-7.9.1994, Nr. 137 (a. d. Schmuckrahmen m. d. Etikett).
Ernste Spiele, Der Geist der Romantik in der deutschen Kunst 1790-1990, Haus der Kunst, München, 4.2.-1.5.1995, Nr. 212.
Paul Gauguin. Das verlorene Paradies, Museum Folkwang, Essen, 17.6.-18.10.1998; Neue Nationalgalerie, Berlin, 31.10.-10.1.1999, Nr. E2.
Die Badenden, Mensch und Natur im deutschen Expressionismus, Kunsthalle Bielefeld, 3.9.-19.11.2000, Nr. 37.
Die Brücke in Dresden 1905-1911, Galerie Neue Meister, Dresden, 20.10.2001-6.1.2002, Nr. 265.
Femme fatale. Il mito universale della donna nell’arte da Modigliani a Warhol, Villa Ponti, Arona, 31.7.-7.11.2004 (a. d. Schmuckrahmen m. d. Etikett).
El Nacimiento del Espresionismo Alemán, Museo Thyssen-Bornemisza, Madrid, 1.2.-15.5.2005; El naixement de l'expressionisme, Museu Nacional d'Art de Catalunya, Barcelona, 2.6.-4.9.2006, Nr. 157.
100 Jahre Expressionismus, Neue Nationalgalerie, Berlin, 8.6.-28.8.2005, Nr. 166.

LITERATUR: Andreas Hüneke, Erich Heckel. Werkverzeichnis der Gemälde, Wandbilder und Skulpturen, Bd. I: 1904-1918, S. 111, WVZ-Nr. 1910-42 (m. Abb.).
Paul Vogt, Erich Heckel, Recklingshausen 1965, S. 1909, WVZ-Nr. 1909-14 (m. Abb.).
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Leopold Reidemeister, Brücke-Archiv Heft 4: Erich Heckel zum Dank und Gedenken, Berlin 1970, S. 18.
Anton Henze, Erich Heckel, Leben und Werk, Stuttgart/Zürich 1983, S. 42.
Jill Lloyd, German Expressionism. Primitivism and Modernity, New Haven/London 1991, Nr. 143.

Wenn man von einem "Brücke"-Stil im engeren Sinn sprechen möchte, so sind es die Arbeiten, die in den Dresdner Ateliers von Heckel und Kirchner entstehen oder während der Ausflüge zu den Moritzburger Teichen, wo ebenso Pechstein und 1911 auch Otto Mueller teilnimmt. Die Atmosphäre künstlerischen Tuns wird hier nicht nur in den gemeinsamen Modellen, in dem gegenseitigen Beachten und Beobachten virulent. Es ist der Austausch gemeinsamer Lebensformen, die unabdingbare Neugierde für die Ästhetik des Fremden, für die Schönheit des Neuen, was die "Brücke"-Künstler zu den Reformern werden lässt, und Schreckgespenstern für den damals landauf und landab gepflegten Malstil der Akademien.
Und eine geradezu augenscheinliche Bestätigung der aufgeladenen Atmosphäre künstlerischen Tuns sind die beiden dem Zufall geschuldeten Gemälde "Zwei Menschen im Freien" von Heckel und Kirchners szenische Wiedergabe einer verwunderlich grotesken Begegnung "Im Wald". Eine Begegnung damals wie auch heute in einer spontanen Form der Malerei, eine überbordende Farbigkeit voller, warmer Klänge, ein verbindendes Thema in einer unverstellten Natur, ein Reflex eines von allem in gleicher Weise erfahrenen Erlebnisses.
Es ist ihre malerische Sprache, die etwas 'Wildes', Ungestümes zum Ausdruck bringt, den Kern der emotionalen Aussage offenlegt und bei aller Gegenständlichkeit nach einer schnellen, skizzenhaften Abstraktion des Gesehenen sucht. Es ist also nicht die Notwendigkeit des Einklangs, sondern es ist die Leidenschaft und Ekstase, die die "Brücke"-Künstler Heckel und Kirchner verbindet, 'ihr' Expressionismus, der immer wieder neu und provokativ erscheint, so zeitlos und modern ist die "Brücke"-Kunst doch an sich. Aber aus der Wahlverwandtschaft zu Beginn ihres gemeinsamen Weges wächst ein besonderer Individualismus, der aus einer ungebrochenen Haltung zu großer Meisterschaft führt.
Hat Kirchner für sein Gemälde "Im Wald" etwa die sich plötzlich ergebende Situation spontan skizziert, in der Heckel mit grüner Jacke, schwarzer Hose und breitkrempigem Hut, die Hand in der Hosentasche, sich eiligen Schrittes von den beiden nackten Modellen zielstrebig entfernt, vielleicht um etwas zusätzlich zu organisieren, um seine Malerei, diese begonnene Nahaufnahme der beiden sich im Wald Trollenden zu beenden? Man weiß es nicht und darf der Spekulation auch nicht zu breiten Raum öffnen! Oder befleißigt sich Heckel hier Adam und Eva, die etwas ungelenk in der Bewegung wirken, wie das erste, aus dem Paradies vertriebene Menschenpaar, wie der gleichnamige Holzschnitt mitteilen möchte? (Abb.) Jedenfalls nehmen wir teil an dem authentischen Geschehen, das beide Künstler, Erich Heckel und Ernst Ludwig Kirchner, zu einem sinnlichen Erleben werden lassen, dokumentiert auf Leinwand.
Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner und Max Pechstein sowie eine Gruppe von Freunden und Modellen verbringen den Sommer 1910 in Moritzburg und malen im Wald und an den Teichen. Sie übertragen ihre Vorstellung einer 'ursprünglichen' Lebensweise in Skizzen und Gemälden, inspiriert von Stammesartefakten aus dem Dresdner Völkerkundemuseum, aber auch von zeitgenössischen Ausstellungen über Dörfer von 'Ureinwohnern' im Dresdner Zoo; Kirchner etwa besucht und skizziert dergleichen Veranstaltungen. In den Wäldern und Seen um Moritzburg stellen die Künstler ihre Staffeleien bisweilen auch nebeneinander auf, um dieselbe Szenerie festzuhalten: daher ist das nackte Paar auf Kirchners Gemälde "Im Wald" auch auf Heckels "Zwei Menschen im Freien" zu sehen.
"Die skizzenhaften und androgynen Nackten auf Kirchners Gemälde verschmelzen teilweise mit der sie umgebenden Natur", so Jill Lloyd, "ihre Umrisse korrespondieren mit dem Geäst der Bäume, die Figur mit den überkreuzten Armen fügt sich farblich in die sonnenbeschienene Waldlichtung ein und die Pinselführung ist insgesamt flüchtig und spontan. Das grüne Jackett und die dunkel gehaltenen Beine der Figur im Vordergrund verschmelzen ebenfalls mit den Farben des sie umgebenden Waldes, während Spuren von komplementärem Rot auf den Händen und dem Gesicht des Mannes die Farbkomposition aufhellen und ihn chromatisch zu den nackten Figuren in Bezug setzen. Die sichtbaren Stellen der weiß grundierten Leinwand, sie ähneln den weißen Blättern seiner Skizzenbücher, geben der Oberfläche des Gemäldes eine luftige Anmutung und verstärken die Leuchtkraft der Farben. Die kleinen weißen durchblitzenden Stellen der Leinwand verleihen der Szenerie ein gewisses Funkeln so, als würde das Sonnenlicht schräg durch die Bäume fallen." (Jill Lloyd, in: Sammlung Hermann Gerlinger, Ketterer Kunst, Dez. 2022, S. 120f.).
Die Neigung zu Flächenhaftigkeit in der Darstellung, die Tendenz, das Räumliche aus der Farbe heraus zu erschaffen, mit Konturen die Farbkontraste in ihrer rhythmisierten Abtrennung zu potenzieren. Durch ein Abstufen der Farben nach ihren Helligkeitswerten gelingt es, die Raumtiefe und einen bestimmten Grad an Körperlichkeit zu erzeugen. Der Drang zu spontanen Niederschriften des Erlebten, die eigenwillige Pinselführung, die sinnlichen, leuchtenden Farben und den temperamentvollen Rhythmus bestimmen die Malerei. "Im übergreifenden Kontext von Kirchners Werk", so noch einmal Jill Lloyd, "welches zwischen Darstellungen urbaner Komplexität und befreiter Nacktheit in der Natur oszilliert, könnte 'Im Wald' als bewusste Anspielung auf die Schwierigkeit, wenn nicht gar Unmöglichkeit verstanden werden, in der modernen Welt zu einer 'ursprünglichen' Unschuld zurückkehren zu wollen." (ebd.).
Und es ergibt sich hier ein nicht steuerbares, glückliches Moment, die seltene Gelegenheit, beide aufeinander bezogenen Gemälde von Kirchner und Heckel gemeinsam in einer Auktion zu erwerben. [MvL]



124000041
Erich Heckel
Zwei Menschen im Freien, 1909/10.
Öl auf Leinwand
Schätzpreis: € 400.000 - 600.000
Informationen zu Aufgeld, Steuern und Folgerechtsvergütung sind ab vier Wochen vor Auktion verfügbar.