Auktion: 530 / Evening Sale / Sammlung Hermann Gerlinger am 10.06.2022 in München Lot 44


44
Hermann Max Pechstein
In der Hängematte/Boote auf der Ostsee (Rückseite), 1910/ 1922.
Öl auf Leinwand, beidseitig bemalt
Schätzung:
€ 300.000
Ergebnis:
€ 400.000

(inklusive Aufgeld)
In der Hängematte/Boote auf der Ostsee (Rückseite). 1910/ 1922.
Öl auf Leinwand, beidseitig bemalt.
Soika 1910/38 und Soika 1922/14. Verso links unten signiert und datiert "1922". 74 x 80 cm (29,1 x 31,4 in).
Das Motiv "Boote auf der Ostsee" entsteht wohl im Atelier in Berlin, wo der Künstler seine Eindrücke aus Leba auf der Rückseite eines Frühwerks festhält.

• Exemplarisches Meisterwerk Pechsteins auf dem Höhepunkt des "Brücke"-Stils.
• Zeugnis der intensiven künstlerischen, sich gegenseitig befruchtenden Zusammenarbeit der "Brücke"-Künstler.
• Ein Gemälde bestehend aus zwei 'Vorder'seiten - jede Seite hat eine eigene umfangreiche Ausstellungshistorie.
• Von heraustechender expressiver Farbigkeit.
• Losgelöst von allen akademischen Normen entstehen in Moritzburg ungezwungene Aktdarstellungen in unberührter Natur.
• "Boote auf der Ostsee" ist ein ausdrucksstarkes Gemälde aus der wichtigen Werkreihe der Ostseelandschaften.
• Die aufgewühlte Stimmung des Künstlers im Jahr 1922 – Trennung von Lotte und Rechtsstreit mit Gurlitt - spiegelt sich im Sujet des Gemäldes wider
.

PROVENIENZ:
Privatsammlung Berlin (wohl beim Künstler erworben).
Galerie Wolfgang Gurlitt, München (bis 1969).
Kunsthandel Wolfgang Werner, Bremen.
Galerie Gunzenhauer, München.
Sammlung Hermann Gerlinger, Würzburg (mit dem Sammlerstempel Lugt 6032, seit 1971).

AUSSTELLUNG:
"In der Hängematte"

Max Pechstein. Gemälde, Aquarelle, Graphik aus den Jahren 1909-1924, Gaphisches Kabinett Ursula Voigt, Bremen, 22.5.-20.7.1969, Kat.-Nr. 3a.
Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum Schloss Gottorf, Schleswig (Dauerleihgabe aus der Sammlung Hermann Gerlinger, 1995-2001).
Frauen in Kunst und Leben der "Brücke", Stiftung Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum, Schloss Gottdorf, Schleswig, 10.9.-5.11.2000, Kat.-Nr. 53, S. 139.
Kunstmuseum Moritzburg, Halle an der Saale (Dauerleihgabe aus der Sammlung Hermann Gerlinger, 2001-2017).
Die Brücke und die Moderne 1904-1914, Bucerius Kunstforum, Hamburg, 21.10.2005-15.1.2006, Kat.-Nr. 139, S. 164.
Im Rhythmus der Natur, Landschaftsmalerei der Brücke. Meisterwerke der Sammlung Gerlinger, Städtische Galerie, Ravensburg, 28.10.2006-28.1.2007, S. 83.
Expressiv! Die Künstler der Brücke. Die Sammlung Hermann Gerlinger, Albertina, Wien, 1.6.-26.8.2007, Kat.-Nr. 218 (m. Farbabb.).
Buchheim Museum, Bernried (Dauerleihgabe aus der Sammlung Hermann Gerlinger, 2017-2022).
Brückenschlag: Gerlinger - Buchheim, Buchheim Museum der Phantasie, Bernried am Starnberger See, 28.10.2017-25.2.2018, S. 170 (m. Farbabb.).

"Boote auf der Ostsee"

Max Pechstein. Ölgemälde und Aquarelle, Galerie Pels-Leusden, Berlin, 24.2.-19.4.1969, Kat.-Nr. 5.
Max Pechstein. Gemälde, Aquarelle, Graphik aus den Jahren 1909-1924, Gaphisches Kabinett Ursula Voigt, Bremen, 22.5.-20.7.1969, Kat.-Nr. 6.
Max Pechstein. Gemälde, Aquarelle, Graphik, Galerie Gunzenhauser, München, 10.4.-15.6.1970, Kat.-Nr. 7, S. 11.
50 Jahre Graphisches Kabinett: Meisterwerke des 20. Jahrhunderts aus Bremer Privatbesitz und ausgewählte Aquarelle und Graphik des Expressionismus, Kunsthandel Wolfgang Werner, Bremen, 28.11.1970-28.2.1971.
Max Pechstein, Kunstverein Braunschweig, 18.4.-27.6.1982; Pfalzgalerie Kaiserslautern, 11.7.-22.8.1982, S. 125.
Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum Schloss Gottorf, Schleswig (Dauerleihgabe aus der Sammlung Hermann Gerlinger, 1995-2001).
Kunstmuseum Moritzburg, Halle an der Saale (Dauerleihgabe aus der Sammlung Hermann Gerlinger, 2001-2017).
Buchheim Museum, Bernried (Dauerleihgabe aus der Sammlung Hermann Gerlinger, 2017-2022).
Brückenschlag: Gerlinger - Buchheim, Buchheim Museum der Phantasie, Bernried am Starnberger See, 28.10.2017-25.2.2018, S. 382 (m. Farbabb.).

LITERATUR:
Heinz Spielmann (Hrsg.), Die Maler der Brücke. Sammlung Hermann Gerlinger, Stuttgart 1995, S. 245, SHG-Nr. 351 und 422 (m. Abb.)
Hermann Gerlinger, Katja Schneider (Hrsg.), Die Maler der Brücke. Bestandskatalog Sammlung Hermann Gerlinger, Halle (Saale) 2005, S. 392, SHG-Nr. 860 und 879 (jeweils m. Abb.).
Brückenschlag: Gerlinger - Buchheim! Museumsführer durch die "Brücke"-Sammlungen von Hermann Gerlinger und Lothar-Günther Buchheim, Feldafing 2017, S. 170 (m. Abb., S. 171) bzw. S. 382 (m. Abb. S. 383).


"Augenblicklich sind wir d.h. Heckel, Pechstein und ich, auch wieder in Moritzburg. Es gibt nichts Reizvolleres als Akte im Freien"

E.L. Kirchner in einem Brief an Schiefler, 19. Juli 1910, zit. nach: Soika B 1, S. 16.



In der Hängematte, 1910
Am 18. Juli 1910 reist Hermann Max Pechstein mit Erich Heckel und Ernst Ludwig Kirchner nach Moritzburg. Die Idee einer gemeinsamen Sommerreise nach Moritzburg kam ihnen bereits im Frühjahr: "Als wir in Berlin beisammen waren, vereinbarte ich mit Heckel und Kirchner, daß wir zu dritt an den Seen um Moritzburg nahe Dresden arbeiten wollten. Die Landschaft kannten wir schon längst, und wir wußten, daß dort die Möglichkeit bestand, unbehelligt in freier Natur Akt zu malen." (zit. nach: Hermann Max Pechstein, Erinnerungen, 1993, S. 41) Die "Brücke"-Künstler verbringen mit ihren Freundinnen und Modellen einen idyllischen Sommer mit Malen und Baden rund um die Seen des abgelegenen Moritzburger Waldgebiets. "Wir Maler machten uns frühmorgens schwer bepackt auf den Weg", erinnert sich Pechstein später, "die Modelle zogen mit Taschen voller Ess- und Trinkbarem hinterher. Wir lebten in absoluter Harmonie, arbeiteten und badeten. Wenn uns ein männliches Modell fehlte, sprang einer von uns in die Bresche" (Max Pechstein, in: Junge Kunst, Bd. 1, Leipzig 1919.) Wichtig ist den "Brücke"-Künstlern, dass es sich bei ihren Modellen um keine Berufsmodelle handelt. Sie sollen sich natürlich bewegen und nicht in die starren Posen verfallen, welche die akademische Malerei verlangte. Sie stürzen sich in die Arbeit und "auf die Natur in den Mädchen, .. die wir in freier Natürlichkeit ohne Pose oder sonstiges zeichneten" (E. L. Kirchner, zit. nach: Lothar Grisebach, Ernst Ludwig Kirchners Davoser Tagebuch, 1997, S. 63) Das touristisch nicht erschlossene Moritzburg und die eingeschworene Gemeinschaft bilden die perfekten Voraussetzungen für ein intensives Arbeiten. Es entstehen eindringliche Werke, die in ihrer direkten Dichte von der Verbundenheit der Maler mit dem Leben in der freien Natur zeugen. Die Künstler arbeiten einen Monat lang gemeinsam in Moritzburg. Dieser Sommer wird für alle "Brücke"-Künstler zu einer besonders produktiven Zeit, auch für Hermann Max Pechstein: Hier entstehen einige seiner bekanntesten Bilder. In kürzester Zeit entwickelt er eine eckige, skizzenhafte Malweise, die den Kompositionen Heckels und Kirchners verwandt ist. Durch das Arbeiten in unmittelbarer Nähe zueinander nähert sich der Stil der einzelnen Künstler an. Für die kurze Zeit dieses idyllischen Monats in Moritzburg erreichen die Werke jedes einzelnen Künstlers ein neues Niveau und sie entwickeln eine Bildsprache, die fortan als "Brücke"-Stil bezeichnet wird und den Höhepunkt der gemeinsamen Jahre dieser Künstlervereinigung markiert. Besonders die Darstellung von Akten am Wasser oder im Wald sind zum Inbegriff der expressionistischen Hochphase der Künstler geworden. Die ungezwungene Nacktheit ist Ausdruck einer Befreiung von inneren Zwängen, die auch sichtbar in die gestalterische Arbeit einfließt. Natur und Mensch bilden eine gesuchte Einheit, die sich dem Betrachter eindringlich vermittelt. In der Abgeschiedenheit können sie ihre Vorstellung vom einfachen, "primitiven" Leben in die Tat umsetzen. Das Gefühl mit der Natur in Einklang zu stehen und ein einfaches Leben zu führen, das dem der von ihnen idealisierten "Primitiven" nahe kommt, ist für die "Brücke"-Künstler zu dieser Zeit ein angestrebtes Ideal. Was die in Moritzburg entstandenen Werke aller Künstler eint, ist die Direktheit und Unmittelbarkeit im Ausdruck. Auch Pechsteins Werk "In der Hängematte" zeigt eine bis dahin kaum gekannte Verve. [SM]

"Im April 1921 machte ich mich allein, nur mit dem nötigsten Material im Rucksack, auf die Suche. Ich hatte der Karte nach in Ostpommern eine ähnliche Nehrung zwischen dem Leba-See und der Ostsee ausfindig gemacht [..]. Ich lernte diese Küste nicht nur schätzen sondern auch lieben."
Max Pechstein, Erinnerungen, S. 107/108

Botte auf der Ostsee, 1922
Hermann Max Pechstein suchte stets die Nähe zum Meer. Über viele Jahre war Nidden sein Sehnsuchtsort, doch dieses gehört nach dem Versailler Vertrag 1919 nun zu Litauen und mit der veränderten politischen Lage fühlt Pechstein sich entfremdet. Auch nach der Zeit der "Brücke" ist er auf der Suche nach einer naturnahen Ursprünglichkeit für sein malerisches Schaffen, auch als Kontrast zum geschäftigen Berlin, wo der Künstler mit seiner Familie lebt. Im Gegensatz zu Nidden ist das pommersche Leba innerhalb eines Tages mit der Bahn zu erreichen. 1921 verbringt Pechstein mit Frau und Kind so erstmals den Sommer in Leba. Ihn faszinieren das besondere Licht und die wechselnden Wetterphänomene in dieser Küstenregion und nach eigener Aussage fühlt sich Pechstein der Landschaft und ihren Menschen besonders verbunden. Im Gegensatz zum hektischen Berlin der Jahre nach dem Ersten Weltkrieg scheint er hier das ersehnte Ideal eines friedvollen Lebens gefunden zu haben. Die Aufenthalte in Leba am Lebasee in Pommern werden für Max Pechsteins malerisches Werk von prägender Bedeutung sein. Hier entwickelt er einen eigenen Stil, der von einer Realität des Sehens geprägt ist. Die Arbeiten dieser Zeit sind stilistisch noch von einem tradierten Expressionismus bestimmt, der sich besonders in den Farbwerten manifestiert. Die Ursprünglichkeit dieser fast unberührten Landschaft prägt sein malerisches Schaffen dieser Zeit jedoch in einer besonders reichen Weise. Die intensive Auseinandersetzung mit der Natur führt zu einer Reihe eindrucksvoller Landschaftsdarstellungen, in denen der Maler in besonderer Art und Weise seine Empfindungen festhält. Eine enorme Faszination übt auf ihn das Leben inmitten kaum berührter Natur aus. "Wichtig ist mir von jeher die Natur zu meinem Schaffen gewesen und bildet ihr intensives Studium die Marksteine. An ihr arbeite ich mich frei und kann dann das gesammelte Erlebnis gleichsam durchfiltriert auf das Papier oder die Leinwand bringen." (Max Pechstein, in: Künstlerische und kulturelle Manifestationen, Ulm o.J. [1924], S. 38) Besonders eng ist Hermann Max Pechsteins gesamtes künstlerisches Schaffen mit der See und dem maritimen Leben verbunden. Pechsteins maritime Reisen lassen den Künstler nicht nur Badeszenen, das Arbeitsleben der ansässigen Fischer, anlegende Schiffe, Kähne und Boote auf hoher See, Küstenlandschaften und Strandimpressionen auf die Leinwand bannen, sondern auch einzelne beeindruckende Meeresstücke, in denen er die Dynamik, Wandlungsfähigkeit und Kraft der sich durch stürmische Winde aufbäumenden, brechenden Wellen festhält. Hier sind es die sturmgepeitschte See und die Boote in rhythmischer Reihung, die in den Hafen zurückkehren, die ihn interessieren. Immer wieder fängt Pechstein die stimmungsvollen Wetterphänomene an der Küste ein, was von seiner tief empfundenen Liebe zur unverfälschten Natur zeugt. [SM]



44
Hermann Max Pechstein
In der Hängematte/Boote auf der Ostsee (Rückseite), 1910/ 1922.
Öl auf Leinwand, beidseitig bemalt
Schätzung:
€ 300.000
Ergebnis:
€ 400.000

(inklusive Aufgeld)