Lexikon
Kunst des "Sturm und Drang"

Auch im deutschsprachigen Raum gingen aus der Generation der um die Jahrhundertmitte Geborenen auffallend viele künstlerische Sonderlinge hervor. Der Bildhauer Franz Xaver Messerschmidt (1736-83) mit seinen karikierend verzerrten Charakterköpfen ist zwar etwas älter, wird jedoch zumeist dieser Individualistengruppe zugeschlagen. Grundlegend lassen sich dessen Arbeiten noch mit einem allgemeinen Interesse an Physiognomik und Affekten erklären, doch gehen sie deutlich über das als "angemessen" Betrachtete hinaus. Weiter noch entfernte sich der Zürcher Johann Heinrich Füßli (1741-1825) vom herrschenden Zeitgeschmack. Ähnliches ist von Maler Müller (eigentlich Friedrich Müller, 1749-1825) und seinem ebenso individualistischen, aber völlig anders gearteten Werk zu sagen. Auch der Radierer Carl Wilhelm Kolbe d.Ä. (1759-1835), der surreal anmutende Baumriesen und phantastisch-urweltliche Sumpflandschaften schuf, zählt zu den kaum klassifizierbaren Einzelbegabungen.
Die ältere deutsche Kunstgeschichte (v.a. Landsberger, Stange, Reetz, Grote, Isenbörger) hat versucht, diese Meister als bildkünstlerische Vertreter der literarischen Epoche des "Sturm und Drang" zu fassen. Dabei wurden verschiedene Versuche unternommen, neben einem durchaus anzunehmenden rein geistigen Einfluss der "Genies" um den jungen Goethe auch ein stilistisches Programm zu fixieren. Die Vorschläge umfassten zumeist Bewegtheit, Individualismus, malerischen Naturalismus sowie einen "Gotizismus" (Landsberger, 1931), doch trifft nur ein einziges Stilmerkmal tatsächlich auf alle Vertreter zu: Originalität. Demgemäß ist eine Kunst des "Sturm und Drang", so dieser Begriff verwendet wird, mehr als Ausdruck einer zugrundeliegenden geistesgeschichtlichen Tendenz denn als echte Stilepoche zu verstehen.