Lexikon
Impressionismus in Amerika und nordamerikanische Kunst der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

1886, als in Paris die letzte Impressionisten-Schau ihre Tore geschlossen hatte, organisierte der Pariser Kunsthändler Durand-Ruel eine umfassende Ausstellung der Franzosen in New York und legte damit den Grundstein für die aus Frankreich angeregte Ausprägung des amerikanischen Impressionismus.
Mit dem Ende des Bürgerkriegs hatte sich in Nordamerika eine neue Offenheit durchgesetzt, die sich in dieser Orientierung an Europa widerspiegelt. Doch auch eigene Traditionen begünstigten die Ausprägung des amerikanischen Impressionismus: Auf die romantischen Landschaften der "Hudson River School" folgten die um die Jahrhundertmitte wirkenden Luministen, die eindrucksvolle Naturbilder in atmosphärisch dichten Lichtwirkungen schufen.
Auf dieser Grundlage fußte die Aufnahme des europäischen Impressionismus in Amerika. Die interkontinentale Rezeptionssituation bedingte dabei eine gleichzeitige Verwertung verschiedener, auch gegenläufiger Strömungen, so dass sich in den Kunstwerken Amerikas der freie Duktus des Impressionismus und die geschlossene Form des Akademismus vereinten. Dies entsprach auch einer "Korrektur" des europäischen Impressionismus, der den Amerikanern in den Figuren zu derb, in der Malweise zu skizzenhaft und im Sujet zu sinnentleert erschien.
Mary Cassatt (1844-1926) und John Singer Sargent (1856-1925), die beide hauptsächlich in Europa lebten, waren die ersten Amerikaner, die den neuen Stil aufnahmen. Erstere war vor allem mit Edgar Degas eng verbunden und stellte auch auf den Pariser Impressionistenschauen aus. John Singer Sargent hatte dagegen nur eine kurze impressionistische Phase zwischen 1885 und 1889, die durch seinen Besuch bei Claude Monet in Giverny geprägt wurde.
In Giverny hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits eine regelrechte amerikanische Kolonie mit Henry Fitch Taylor, Louis Ritter, Willard Leroy Metcalf, John Leslie Breck, Theodore Wendel und dem Kanadier William Blaire Bruce gebildet; wichtigster Maler unter diesen frühen amerikanischen "Givernisten" war Theodore Robinson. Giverny blieb lange das europäische Zentrum des amerikanischen Impressionismus, wie etwa die spät hinzugestoßenen Maler Frederick Carl Frieseke oder Richard Miller bezeugen. Zu den Hauptvertretern der ersten Generation des amerikanischen Impressionismus rechnen neben den Genannten Julian Alden Weir, John Twachtman, William Merritt Chase und Childe Hassam.
Zentren der zweiten, größere Breitenwirkung entfaltenden Phase des amerikanischen Impressionismus waren New York und Boston. In New York stand die Landschaft im Vordergrund, die Maler der Bostoner Schule setzten dagegen vorrangig figurative Sujets um und schufen - mit Ausnahme von Willard Leroy Metcalf - besonders Bilder mit Frauen der besseren Gesellschaft. Prägende Figur war hier Edmund Charles Tarbell, ihm folgten beispielsweise Frank Benson und Philip Leslie Hale.
Die Gründung der "Ten American Painters" markiert den Höhepunkt des Impressionismus in Amerika, der spätestens um 1910 in verschiedenen Spielarten flächendeckende Verbreitung gefunden hatte. In Kanada, wo die Rezeption etwa 10 Jahre später einsetzte als in Amerika, ist Maurice Galbraith Cullen als Hauptvertreter zu benennen.
Neben dem amerikanischen Impressionismus bildete der Tonalism die bedeutendste Strömung in der nordamerikanischen Malerei der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.